Literaturtag am Niels-Stensen-Gymnasium
„Lies doch mal wieder!“ – diese Aufforderung dürften die Siebtklässler des Niels-Stensen-Gymnasiums von ihren Eltern schon länger nicht mehr gehört haben. Seit Wochen bereiten sich die Teenager mit Klassenlehrerin Elisabth Schilling auf ihren Literaturtag vor.
Die Idee: Ein selbst gelesenes Buch zum Thema „Vielfalt und Toleranz“ vorstellen und so die Sechstklässler der eigenen Schule zum Lesen motivieren. Marlen (13), Lea (12), Mike (13) und ihre Klassenkameraden haben sich richtig gut vorbereitet. Ruhig und interessiert folgen die jungen Zuhörer den „alten Lesehasen“, applaudieren spontan für pfiffige Inhaltsangaben, schmunzeln bei lustigen Textstellen, erfassen die ganze Sinnlosigkeit des Krieges in wenigen Sätzen und fragen schließlich kritisch nach.
Insgesamt fünf Lesestationen stehen den literaturinteressierten Jungen und Mädchen an diesem Vormittag zur Verfügung. Anhand einer Liste erhalten die Schüler einen Angebots-Überblick und wählen daraus zwei Vorstellungsrunden mit mehreren Referenten. Und das Angebot ist durchaus anspruchsvoll für Sechstklässlerohren: Viele Werke handeln von Fluchterlebnissen, von einschneidenden Erfahrungen bei kriegerischen Auseinandersetzungen, von Ausgrenzung und Mobbing. Lea hat sich für Markus Zusak´s „Bücherdiebin“ entschieden – eine tragische, witzige, wütende und zugleich zutiefst lebensbejahende Geschichte eines Mädchens, das in den Wirren des Krieges und in den Flammen der Nazis die Liebe zu Büchern und Worten entdeckt. „Ich habe das Buch bei meinen Eltern gesehen. Das sah einfach spannend aus“, erzählt die Zwölfjährige ihre Entdeckung, mit der sie tief in die Kriegsjahre eingestiegen ist. Auf die Frage, ob dieses Buch für ihre Altersklasse zu empfehlen sei, antwortet Lea auf ihre Weise: „Ja, das können auch Erwachsene lesen“. Die Einschätzung der jungen Zuhörer wird Lea etwas später erfahren.
„Das Feedback ist uns ganz wichtig. Nichts wäre schlimmer, als wenn die Schüler für ihre Vorstellung keine Rückmeldung bekommen“, ergänzt Deutschlehrer Tony Schmidt, der mit seiner 6b im vergangenen Jahr sogar ein eigenes Buch herausgegeben hat. Doch „gut“ oder „schlecht“ ist Schmidt zu wenig. Alle Sechstklässler haben daher einen Schreibauftrag erhalten. „Jeder gibt ein persönliches kleines Feedback in Form eines Briefes ab“, erklärt Schmidt. Daraus werden Plakate gestaltet, auf denen die Rückmeldungen in Briefumschlägen kleben. So erhält jeder Referent ausführliche Einschätzungen zu seinem Vortrag. Auch Lea.
Das Literaturvermittlungsprogramms „Leinen los!“, an dem sich das Niels-Stensen-Gymnasium mit dem Büchertag beteiligt, ist eine Gemeinschaftsinitiative aller 21 katholischen Schulen in Hamburg, des Kulturforum21 sowie der Katholischen Akademie. Die Idee: Ein Jahr lang tauschen Schüler Bücher zu einem Jahresthema aus. Klassen aus allen Schulen befüllen hölzerne Seekisten mit Literatur zum Thema – wobei die Lieblingsbücher der Kinder und Jugendlichen nicht fehlen – und schicken diese mit dem „Literaturkutter“ und ganz persönlichen Anregungen an andere Schulstandorte. Dort werden die Bücher gelesen, rezensiert und als Impulse für Aktionsideen genutzt. Und natürlich packen die Schüler neue Kisten, die dann erneut auf Reise gehen. Die Seekisten beinhalten stets sogenannte Key books, die in allen Kisten auftauchen und zu denen die Kinder und Jugendlichen eigene Bücher hinzugeben. Mit kleinen Notizen oder sogar Rezensionen vermitteln die Absender den Empfängern erste Eindrücke ihrer Lieblingsbücher. „Die Kisten sollen die Lust auf das Lesen, das Entdecken, das Kennenlernen anderer Kulturen und Einstellungen vermitteln“, erklärt Elisabeth Schilling. Schon bald packt die Deutschlehrerin mit ihrer Klasse die nächste Seekiste, um sie auf die Reise nach Billstedt zur Katholischen Schule Sankt Paulus zu schicken.