Knauer: „Kulturelle Bildung kein Nischenprojekt“

Bettina Knauer in Bundes-Jury berufen

Dr. Bettina Knauer, Leiterin des Kulturforum21 der katholischen Schulen in Hamburg, ist in die Experten-Jury des Bundeswettbewerbs MIXED UP 2018 berufen worden. Im Interview verrät sie u.a., worauf sie achten wird, wenn die Jury die Preisträger im diesjährigen Wettbewerb auswählt und wie Inklusion in der kulturellen Bildungspraxis umgesetzt werden kann.

Frage: Das Kulturforum 21 der Schulen im Erzbistum Hamburg war im vergangenen Jahr gemeinsam mit den Deichtorhallen Hamburg MIXED UP Preisträger in der Kategorie Zusammenspiel. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Auszeichnung gemacht?

Wir waren auch vorher schon der Überzeugung, dass wir zusammen gute Arbeit leisten. Trotzdem haben wir uns natürlich über den Preis riesig gefreut. Das fördert das Selbstbewusstsein, man nimmt sofort am nächsten Wettbewerb teil. Nicht zuletzt, weil es für diese Arbeit immer auch wichtig ist, öffentlich sichtbar zu werden. Durch MIXED UP sind wir öffentlich noch präsenter geworden. Das Bewusstsein ist noch einmal anders, wenn man diesen Preis bekommt. Unsere Arbeit wurde in einem bundesweiten Kontext kenntlich gemacht. Das war uns total wichtig und ist natürlich intern für alle Involvierten eine tolle Bestätigung. Für uns geht es nicht ohne dieses Zusammenspiel der vielen Beteiligten. Das Programm mit dem Prozess und Ergebnis konnten wir nur gemeinsam mit den Partnern entwickeln.

Frage: Welche Qualitätsmerkmale Ihrer Zusammenarbeit haben Ihrer Meinung nach die Jury im vergangenen Jahr überzeugt?

Ich glaube, es ist ein großes Qualitätsmerkmal, dass wir im Dialog und auf Augenhöhe mit den Deichtorhallen zusammenarbeiten. Es ist nicht nur die dortige Abteilung Kulturelle Bildung, die sehr gern mit uns zusammenarbeitet. Es ist auch der Intendant, der solche Projekte als eine seiner Aufgaben betrachtet und voll dahinter steht. Er ist immer präsent. Und wir auch in den Deichtorhallen. Zur Eröffnung der Ausstellung von Bill Viola, wo auch das exklusive Publikum des Kunstbetriebes anwesend war, haben wir die Ergebnisse der Schüler aus dem Kooperationsprojekt gezeigt. Kulturelle Bildung ist eben kein Nischenprojekt oder Add-on.

Sicher hat auch die Thematik überzeugt, denn wir konnten bei „Laboratorium Bill Viola“ das erste Mal die drei Religionen intensiv thematisieren, weil es genuin in der Arbeit des Künstlers drin steckte. Was auch immer unglaublich wichtig ist, ist die Pressearbeit. Die haben wir in dem Projekt hervorragend gemacht und damit eine sehr breite Öffentlichkeit erreicht. Das heißt, die Ausstellung wird nicht nur als Meilenstein Bill Violas in Europa wahrgenommen, sondern auch als Meilenstein Kultureller Bildung und das geht eben nur über Presse- und Medienarbeit. Deswegen pflegen wir intensiv die Kontakte zu unseren Ansprechpartnern in den Print-, Radio- und Fernseh-Redaktionen, informieren mit Pressemitteilungen und laden zu kulturellen Terminen in die Schulen ein. Und diese beständige Ansprache wirkt.

Frage: Welches sind die Entwicklungsbedarfe, um eine kinder- und jugendgerechte Ganztagsbildung umzusetzen?

Viel zu tun ist noch bei der Nachhaltigkeit. Ich muss ein Kind im Grunde über die ganze Schullaufbahn hinweg begleiten. Und ich muss es beobachten, individuell informieren, zu einem selbstbewussten Akteur machen und dazu die richtigen Instrumente einbringen. Hierfür haben wir zum Beispiel einen Kulturführerschein entwickelt, den die Kids mit Klassenstufe 1 erhalten und in den sie bis zum Ende ihrer Schulzeit ihre kulturellen Aktivitäten notieren. Oft wird heute noch zu viel auf Eventisierung gesetzt. Aber es geht um mehr.

Meine Lieblingszielgruppe sind die 12- bis 17-Jährigen. Wie oft habe ich vorher gehört: „Die kriegst du nie! In der Pubertät ist Kultur kein Thema“. Doch gerade da ist eine unheimliche Offenheit, eine Suche, auch Krisen – und wenn Sie sie dann kriegen und zum Beispiel in ein klasse Stück mit acht tollen Schauspielern ins Thalia Theater holen, ist das ein Erfolg. Wobei mir dabei erst einmal egal ist, ob die Jugendlichen reingegangen sind, weil der Schauspieler gut aussieht oder weil sie das Thema interessiert. Es gibt ja unheimlich viele Anknüpfungspunkte. So sind sie dann aber erstmal da und dann gibt es immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Stück und der Welt der Kunst. Einige schreiben anschließend Rezensionen, die das Thalia Theater z. B. auf der Website veröffentlicht. Das sind diese Möglichkeiten, sich zu situieren, die Türen aufzumachen, die Schwellen zu überschreiten und einfach dabei zu sein.

Frage: Wie kann Inklusion und die Anerkennung von Diversität in den unterschiedlichen Bereichen der kulturellen Bildungspraxis gelingen. Welche Strategien verfolgen Sie?

Unser Programm stand von Anfang an unter der Vorgabe  Integration und Dialog zu fördern. Oberstes Ziel dabei ist die Teilhabe und Selbstermächtigung. „Kultur“ verstehe ich als operativen Begriff, der auf Teilhabe zielt. Wir müssen Brücken bauen – und dazu bedarf es eines „dritten Raums“, in dem gemeinsam Neues mit Profis und unter den Schulen selbst erprobt werden kann. Dort macht es dann keinen Unterschied, woher derjenige oder diejenige Mitwirkende kommt. Vielfalt wird geschätzt und dramaturgisch produktiv umgesetzt. Ein wichtiger Aspekt dabei ist es, schulübergreifend zu arbeiten, was wir in allen unseren Projekten machen. Ein Beispiel: es gibt ein Gymnasium, an dem gibt es garantiert acht gute Geiger, aus gesicherten sozialen Verhältnissen. Und neun gute Sänger aus dem Schulchor in Billstedt, einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Das soziale Umfeld wird aber überhaupt nicht zum Thema gemacht. Die Kinder finden sich als neue Gruppe im Zeichen der Künste zusammen. Die gemeinsame Arbeit mit dem Regisseur und den Künstlern steht im Mittelpunkt.

Ich bin auch nicht unbedingt dafür die Institutionen zu verlagern, z. B. in die Stadtteile zu gehen und dort ein bisschen Oper zu machen. Das ist schön, aber die Oper steht nun mal am Dammtor mitten in der Stadt und es ist gut, wenn die Jugendlichen auch dorthin kommen. Zwischen unseren Schulen, z. B. zwischen Neugraben und Billstedt sind 40 km. Die Schüler von dort treffen sich sonst nie. Aber sie treffen sich in der Oper. Wenn wir in der Oper sind, dann trinken wir gemeinsam etwas im Foyer, mittendrin im traditionellen Opernpublikum. Das ist für mich eben auch Inklusion. Immer dabei, mittendrin und selbstbewusst agieren.

Die Häuser finden unsere Projekte – und auch die Kinder und Jugendlichen – so toll und bieten an, dass sie auch einfach mal so vorbeikommen können. Sie dürfen sich als Teil des Kulturbetriebs empfinden. So wird ein Theater, eine Oper, eine Ausstellungshalle zu ihrem Ort. Und darauf bin ich stolz und alle unsere super engagierten, beteiligten Lehrer*innen aus den 21 Schulen, denen ich jetzt hier mal sehr sehr danken möchte. Im Team – schulübergreifend – mit den jeweiligen Kulturpartner – ist so viel möglich. Das fördert Selbstbewusstsein – und Teilhabe sowieso.

Frage: Mit Ihrer „Preisträgerbrille“ werden Sie in diesem Jahr selbst in der MIXED UP Jury mitwirken und an der Preisträgerauswahl beteiligt sein. Worauf werden Sie besonders achten? Was würden Sie potentiellen Bewerber*innen empfehlen?

Ich finde Nachhaltigkeit wirklich wichtig. Dass die Projekte über den Umsetzungszeitraum hinaus wirken. Auch wie Diversität berücksichtigt wird. Wie sind die Strukturen zwischen Schule und Kultur aufgestellt, damit die Kooperation auf Augenhöhe passiert. Es ist wichtig, dass das Strukturelle unterstützt wird und klar ist, dass der Anspruch, Kulturelle Bildung umzusetzen, nicht noch auf eine engagierte Lehrerschulter allein übertragen werden kann. Dafür braucht es Profis. Nur so ist Nachhaltigkeit und Engagement möglich und dass dieser Funke immer wieder überspringt, der die kulturellen Bildungsprozesse bei den Kindern und Jugendlichen in Gang setzt. Ich werde also ganz analytisch und neugierig schauen: Was funktioniert toll, wie sind die verzahnt und wie nachhaltig ist das, wie viele beteiligte Akteure sind auch dabei, was überzeugt. Besonders interessant finde ich auch, wie kulturelle Bildungsarbeit im ländlichen Raum gelöst wird. Ich empfehle den Bewerbern mit viel Selbstbewusstsein aufzutreten.

 

Weitere Infos: www.mixed-up-wettbewerb.de