Selfies und Barmherzigkeit: Fotoshooting im Malteser-Rettungswagen
Viertklässler der Katholischen Schule Neugraben posieren für stadtweites Kunstprojekt der Deichtorhallen Hamburg und des Kulturforum21
Schwer verletzt liegt Michail auf der Rettungsliege für den Abtransport bereit. Doch während sich Alexa hingebungsvoll um ihren Klassenkameraden kümmert und ihm Mut zuspricht, geht es für Sofia, Julia und Sebastian nur ums beste Bild. Denn ein Selfie direkt von der Unfallstelle, das generiert viele Likes.
Glücklicherweise sind die fünf Viertklässler der Katholischen Schule Neugraben weder Unfallbeteiligte noch Schaulustige, sondern Teil eines außergewöhnlichen stadtweiten Fotoprojektes des Kulturforum21 der katholischen Schulen sowie der Deichtorhallen Hamburg.
Unter dem Leitwort „Mittagstisch & Abendmahl“ interpretieren derzeit mehr als 500 Schülerinnen und Schüler klassische christliche Motive gänzlich neu. Ob es nun um den Kuss und Verrat des Judas, die Vertreibung aus dem Paradies oder den barmherzigen Samariter – wie bei diesem Fotoshooting – geht: Fotograf André Lützen rückt die Vorstellungen der beteiligten Grund- und Stadtteilschüler sowie Gymnasiasten an ganz unterschiedlichen Orten der Hansestadt gekonnt ins Bild.
Die Neugrabener Viertklässler haben sich spontan für die Fahrzeughalle der Malteser in Barmbek entschieden. Dicht gedrängt stehen die Rettungswagen nebeneinander, bereit für den nächsten Einsatz. Im Innern eines der Fahrzeuge haben sich schon die nächsten „Samariterinnen“ versammelt, um der ausgeraubten und verletzten Valeria zur Seite zu stehen. Mit geschminkten Wunden wirkt die Situation überraschend echt.
„Das ist irgendwie komisch“, meint Lera, „In der Schule mussten wir beim Proben immer lachen. Aber hier im Krankenwagen fühlt sich das ganz anders an. Irgendwie echt.“ Lehrerin Josefine Grünberg beobachtet die Mädchen und Jungen derweil von der Seite. Sichtlich stolz darauf, wie die Viertklässler mit dem Fotografen zusammenarbeiten und somit letztlich ihre eigenen Ideen umsetzen. „Die Kinder haben zunächst die Darstellung des barmherzigen Samariters in den verschiedenen Jahrhunderten kennengelernt“, berichtet Grünberg von der Vorbereitung. Anschließend galt es, die Geschichte in die Gegenwart zu übertragen und sie mit eigenen Vorstellungen neu zu erzählen.
„Die waren so kreativ und haben sich voll und ganz mit dem Projekt identifiziert“, freut sich die Pädagogin. Statt des historischen Raubüberfalls auf dem Weg von Jerusalem hinab nach Jericho ging es in den Köpfen der Neugrabener Viertklässler um Rangeleien und Abzocke im Alltag, um Handy- und Turnschuhklau. Und natürlich um Selfies am Tatort. „Wenn heute jemand verletzt ist, dann machen viele erst einmal Fotos“, weiß Valeria, „und das ist nicht gut.“ Um diesen Missstand zu verdeutlichen, zücken die Grundschüler immer wieder ihre Smartphones, wenn Lützen Fotos macht.
Das Kunstprojekt „Mittagstisch & Abendmahl“ läuft noch bis Ende des Jahres. Die zeitgemäßen Interpretationen der Schüler sollen später als Bilderausstellung in den Deichtorhallen Hamburg sowie an weiteren öffentlich zugänglichen Orten in der Hansestadt gezeigt werden. Ganz gewiss auch in Neugraben.
Foto 1 (Christoph Schommer): Fotoshooting im Rettungswagen – Jana, Lera und Nika helfen der verletzten Valeria (v.l.)
Foto 2 (Christoph Schommer): Selfies und Barmherzigkeit – Sofia, Julia, Alexa, Michail, Sebastian (v.l.)